Der Springrüßler

Wieder, wieder eines dieser groben Missverständnisse, geboren aus Unachtsamkeit, purer Dummheit und menschlichem Versagen. Deshalb sei ein für allemal und besonders im Namen der ernsthaften Naturwissenschaft klargestellt: Hier springt keine Kreatur durch den Dschungel, nein, sie grüßt. Sie tut es mal freundlich, mal bestimmt, mal nachdenklich, mal übermütig, doch sie grüßt. Darum wird sie auch nicht Spring-Rüßler, sondern Sprin-Grüßler genannt. Wer gerne durch Flure, Auen, an Waldsäumen entlang oder in Parks wandert und wandelt, mit sich allein und in Gedanken versunken, der kennt es, dass er aus heiterem Himmel gegrüßt wird. "Hallo, hallo" "Guten Tag" oder "Seid gegrüßt in Gottes Namen" sendet der Springrüßler seinen Ruf aus dem Geäst. Und das nicht nur bei uns. Ein "Good morning, Sir", muntert den frühen Spaziergänger in englischen Anlagen auf, "Küss die Hand, gnä’ Frau" grüßelts aus dem Wienerwald, ein "Buena sera signorina" aus dem Zypressenhain zaubert ein Lächeln auf volle Lippen.
Egal ob von heimischer Ulme, Hasel, Buche, Erle oder einem exotischen Vertreter herab, stets ist es der Springrüßler, welcher seinen Gruß dem Menschen entbietet. Das ‘Sprin’ des Grüßlers stammt vom quergermanischen ‘spryn’ oder ‘sprün’, was freundlich, fröhlich, heiter bedeutet. Heute ist es noch im süddeutschen Begriff "Springinkerl" vertreten, der einen unbeschwerten, lustigen Gesellen beschreibt. Der Käfer erscheint im Frühjahr, frisst an den jungen Blättern und grüßt dann entweder frei über die Fühler hinweg durch die Natur oder wird im beginnenden Sommer eingesammelt. Einmal domestiziert finden die fähigsten unter den Grüßlern nämlich oftmals eine gute Anstellung am Eingang von großen Hotels, alteingesessenen Einzelhandelshäusern und in bemannten Fahrstühlen. Auch am Einstieg von Passagierflugzeugen sind sie der Aufgabe ständig wiederholender Begrüßung durchaus gewachsen. Erstmals erlangte der Springrüßler auf Jahrmärkten in waldlosen Gebieten eine gewisse Popularität und begleitete sogar die Kreuzfahrer ins Heilige Land. Wiederentdeckt wurde die Kreatur durch den französischen Hof des 18. Jahrhunderts und später durch die Salons, wo sie zum letzten Schrei avancierte. Geparkt in Puder-, Pillen- und Schnupftabakdöschen meldeten sich Springrüßler mit einem lebhaften "Bon jour". Besonders lernfreudigen, in der könglichen Orangerie gezüchteten, Exemplaren gelangen sogar die Variationen "comtesse", "duchesse" und "tristesse" sowie "mon général". In der Jetztzeit gab es kurzzeitig sogenannte Grüßerchen. Eingebaut in Glückwunschpostkarten erwiesen sich die Kreaturen jedoch als zu wenig robust für den oft rauen Postverkehr, und der aufkommende Tierschutz beendete dieses Vorhaben bereits in der Versuchsphase. Generell ist der Springrüßler ein freundlicher, höflicher Mittler zwischen Mensch und Kreatur und damit absolut schützenswert. Einzig bei den Jägern genießt der er relative Unbeliebtheit. Kommt es doch vor, dass sich der Waidmann auf der Pirsch oder nach stundemlangen Ansitz, gerade dann von einem "Hallöchen" aus dem Blattwerk gestört fühlt, wenn die ersehnte Trophäe vor die Flinte tritt.